Potsdam, im Jahre 1847. Im Norden der Stadt, auf dem 76 Meter hohen Pfingstberg, sollte etwas ganz Außergewöhnliches entstehen: ein prachtvolles Schloss im italienischen Stil, mit Aussichtsterrassen und Salons, hängenden Gärten, Freitreppen und Wasserspielen. Das Belvedere! Friedrich Wilhelm IV. war fasziniert von der Architektur der italienischen Hochrenaissance. 1828, damals noch als Kronprinz, hatte er Florenz, Rom, Neapel und viele andere Städte Italiens besucht. Nun, inzwischen als König von Preußen, beauftragte er seine Lieblingsarchitekten, darunter Ludwig Persius, mit dem Bau des Belvedere und lieferte die persönlich angefertigten Ideenskizzen gleich mit. Das waren die Architekten bereits gewöhnt. Friedrich Wilhelm hatte stets seine eigenen Vorstellungen, die sich meist an italienischen Vorbildern orientierten. Diesmal hatten ihn die Villa Medici in Rom und die Villa d’Este in Tivoli inspiriert. Wie immer mussten sich die erfahrenen Architekten eng an die königlichen Vorgaben halten, was für die Planung oft viel Zeit in Anspruch nahm. Eigentlich sollte der Bau schon nach wenigen Jahren fertig sein, doch da der König auch noch das wesentlich größere Orangerieschloss in Sanssouci errichten ließ und diverse andere Bauprojekte anordnete, verzögerten sich die Arbeiten um zehn Jahre. Erst 1863 konnte das Belvedere vollendet werden. Da war der König allerdings schon tot. Sein Nachfolger und Bruder Wilhelm I. teilte keineswegs die Begeisterung für solcherlei Bauwerke, weshalb er das Schloss nur notdürftig als Fragment fertigstellen ließ.
Von der ursprünglich geplanten Pracht ist die Anlage weit entfernt, und dennoch! Ich traute meinen Augen kaum, als ich diesen Ort zum ersten Mal besuchte. Fast wähnte ich mich irgendwo in Italien.
Dann sah ich im Rahmen der Ausstellung die Entwürfe für das Belvedere und konnte nur staunen. Friedrich Wilhelm IV., Bauherr aus Leidenschaft, hatte mal wieder Großes geplant. Aber war das Agrarland Preußen damals wirklich so reich, dass es sich innerhalb weniger Jahrzehnte gleich mehrere solcher höchst luxuriösen Bauprojekte leisten konnte? Die Frage interessierte mich, und ich begann zu recherchieren. Wer war dieser Friedrich Wilhelm IV. eigentlich, den das erste freigewählte deutsche Parlament zum Kaiser küren wollte und der dies ablehnte?
Sympathisch finde ich seine große Leidenschaft für das Zeichnen. Schon als Kind von fünf Jahren zeigte er daran Interesse und nachdem die Eltern sein Talent erkannt hatten, erhielt er Zeichenunterricht. Sein ganzes Leben lang soll er dieser Leidenschaft treu geblieben sein. Ein zeichnender König, der es auch bei offiziellen Anlässen wie Audienzen und Banketten nicht lassen konnte, nebenbei immer etwas zu Papier zu bringen. Tausende Zeichnungen blieben erhalten und gehören heute zum Bestand der Graphischen Sammlung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Durch sein Interesse an künstlerischer Gestaltung entwickelte sich wohl auch sein Faible für Architektur. Als Kronprinz veranlasste er bereits diverse Bauvorhaben, darunter den Charlottenhof und die Römischen Bäder im Park von Sanssouci.
Neben der Architektur interessierten ihn die Kunst, Literatur und die Wissenschaften. Ein knappes Jahr nach seiner Inthronisation (1840) erklärte er die Berliner Spreeinsel (heute Museumsinsel) zur Freistätte für Kunst und Wissenschaft. Das Neue Museum und die Nationalgalerie (heute Alte Nationalgalerie) sind auf seine Anordnung hin erbaut worden. Bei beiden Projekten, wie auch bei allen anderen, zeichnete und gestaltete er immer kräftig mit.
Anders als einige seiner Vorgänger zeigte Friedrich Wilhelm eher wenig Interesse für das Militär, es sei denn, es handelte sich um die Inszenierung großer Huldigungszeremonien oder Paraden. Während seiner Regierungszeit erlebte Preußen keinen Krieg. Waren es also friedliche Zeiten, an denen sich seine Untertanen erfreuen konnten? Ganz und gar nicht. Geschossen wurde trotzdem. Auf die eigenen Leute. Auf Rebellen und Andersdenkende, und das nicht nur in Preußen, sondern auch in den anderen deutschen Einzelstaaten, wie in Baden, Bayern oder Westfalen. Insgesamt gesehen waren es politisch unruhige Zeiten. Doch nicht nur das. Von England aus hatte die Industrielle Revolution den Kontinent erreicht. Neue Erfindungen revolutionierten Handel, Industrie und Landwirtschaft. Berlin entwickelte sich zum industriellen Zentrum. Unternehmer wie Werner Siemens und August Borsig errichteten dort ihre Werkstätten und schufen Tausende neuer Arbeitsplätze, was einen gewaltigen Zustrom an Landbevölkerung bewirkte und Berlin bis zum Ende des Jahrhunderts zur Millionenstadt machte. Andererseits vernichtete die Mechanisierung der Produktion unzählige Arbeitsplätze und sorgte für das Aussterben vieler traditioneller Berufe. In Preußen lebte mehr als die Hälfte der Bevölkerung in bitterster Armut. Als dann noch Dürren und Missernten hinzukamen, folgten Hungerrevolten und Aufstände.
Man nennt Friedrich Wilhelm IV. auch einen Romantiker, wohl deshalb, weil er an Vertrautem festhielt und revolutionäres Denken verabscheute. Tief verwurzelt in der alten monarchistischen Welt verstand er sich als ein Herrscher von Gottes Gnaden. Dabei soll er unsicher und wankelmütig gewesen sein, oft seine Berater gewechselt und meist nur solche ausgesucht haben, die ihm sympathisch, aber nicht unbedingt geeignet waren. Fakt ist, dass er die Zeichen der Zeit nicht erkannte. Eine liberale Volksbewegung hatte von Frankreich aus ganz Westeuropa erfasst. Das aufstrebende Bürgertum forderte Freiheits- und Bürgerrechte. In der Frankfurter Paulskirche tagte das erste freigewählte deutsche Parlament. Eine Reichsverfassung wurde verabschiedet, die alle Menschen gleichstellte und Standesunterschiede aufhob. Aus den 39 deutschen Einzelstaaten sollte ein Einheitsstaat geschaffen werden, eine parlamentarische Erbmonarchie mit einem Kaiser als Staatsoberhaupt. Als die Nationalversammlung den Preußenkönig 1849 zum Kaiser der Deutschen wählt, nimmt Friedrich Wilhelm IV. die Wahl nicht an, mit der Begründung, dass er nur von den deutschen Fürsten die Kaiserkrone annehmen könne. Es waren dramatische Jahre und kurze Zeit später wurde die liberale Bewegung niedergeknüppelt. Vielleicht wäre den Deutschen manches erspart geblieben, hätte Friedrich Wilhelm damals anders entschieden. Später gestand er manchen Fehler in seinen Entscheidungen ein, doch für eine Korrektur war es zu spät. Von mehreren Krankheiten gezeichnet war er schließlich nicht mehr in der Lage, sein Amt zu führen. Wilhelm übernahm die Amtsgeschäfte seines Bruders und nach dessen Tod im Jahre 1861 auch den Thron, denn Friedrich Wilhelms Ehe mit der bayerischen Prinzessin Elisabeth war kinderlos geblieben.
Wie bereits erwähnt, ließ der neue König das Belvedere nur als Fragment fertigstellen. Auch verzichtete er auf die aufwendigen Außenanlagen und beauftragte stattdessen den Gartenbauarchitekten Peter Joseph Linné mit der Anlage eines Landschaftsgartens, der den Pfingstberg mit dem Neuen Garten verbinden sollte. Deshalb blieb auch der am Südhang der Anhöhe gelegene kleine Pomonatempel erhalten, dessen Abriss eigentlich schon beschlossen war.
Es ist das Erstlingswerk des 20jährigen Karl Friedrich Schinkel, der einer der bedeutendsten Architekten des 19. Jahrhunderts wurde. Zu jener Zeit baute man am Pfingstberg Wein an. Ein alter Tempel zu Ehren Pomonas, der römischen Göttin des Obstsegens, gehörte zum Gelände. Der damalige Besitzer des Weingartens ließ ihn abgetragen und 1801 von Schinkel durch den im griechischen Stil errichteten Neubau ersetzen. Im Sommer überspannt ein blau-weiß-gestreiftes Zeltdach die Dachterrasse. Das kleine Bauwerk wurde einst als Teepavillon genutzt. Seine asymmetrisch zum Belvedere gelegene Position stellte ein Problem dar, konnte aber durch einen halbrunden Laubengang verdeckt werden, so dass er sich harmonisch in den Gesamtkomplex einfügte.
Wer das Belvedere Pfingstberg besucht, sollte gut zu Fuß sein, denn das Schloss ist normalerweise mit dem Auto nicht direkt erreichbar. Man muss zunächst die kleine Anhöhe hinauflaufen und in der Schlossanlage noch diverse Stufen erklimmen. Hat man dann das Zwischengeschoss der Türme erreicht, führt eine enge Wendeltreppe hinauf auf die Aussichtsterrassen. Die Mühe lohnt sich. Kein anderer Platz in Potsdam bietet ein vergleichbares Panorama.
Zu beachten ist, dass die Anlage nur von April bis Oktober und im März und November nur an den Wochenenden geöffnet ist.
Tipp: Wer den Aufstieg an der Puschkinallee beginnt, kommt am ummauerten Jüdischen Friedhof vorbei. Er wurde bereits 1743 angelegt und zeugt von dem jüdischen Leben in jenen Tagen. Friedrich II. schenkte dieses Stück Land seinen in Potsdam lebenden jüdischen Untertanen, die bis dahin ihre Toten zur Bestattung immer nach Berlin bringen mussten. Der Friedhof ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.