Eine Gruppenreise nach Kopenhagen? Eine Viertagestour per Bus? Nicht mit mir, dachte ich. Wozu ein Reiseunternehmen bemühen und mich einer Gruppe anschließen, wenn ich doch alles auch allein organisieren kann.
Meine Schwester war es, die mir von der Adventsreise nach Kopenhagen erzählte. Seit vielen Jahren ist sie Mitglied der „Ballettfreunde Hamburg“, einem Verein, der sich dem aktuellen Ballettgeschehen widmet und durch verschiedenste Veranstaltungen zu dessen tieferem Verständnis beiträgt. Regelmäßig finden auch Reisen statt. So hatte sie schon an mehreren Ausflügen teilgenommen und unter anderem Straßburg, Venedig und Antwerpen besucht. Nun also sollte es nach Kopenhagen gehen. Ob ich nicht Lust hätte mitzukommen, fragte sie. Die Absage lag mir schon auf den Lippen und nur der Form halber warf ich einen Blick auf das Programm. Doch da entdeckte ich nach wenigen Zeilen die Ankündigung von „Billy Elliot“ im „Operaen Copenhagen“, dem berühmten neuen Opernhaus, das ich mir schon lange einmal ansehen wollte. Passend zur Adventszeit stand auch „Der Nussknacker“ in der Alten Oper auf dem Programm, und darüber hinaus sollten das Louisiana Museum und das Staatliche Kunstmuseum besucht werden. Das klang interessant und schien gerade richtig für mich, denn ich war schon lange nicht mehr in Kopenhagen gewesen. Also sagte ich zu.
Mit Bus und Fähre nach Kopenhagen
An einem Freitag morgens um acht holte uns ein großer geräumiger Bus am Hamburger Hauptbahnhof ab und schon ging es der Vogelfluglinie folgend nach Fehmarn, dann mit der Fähre von Puttgarden nach Rødby und von dort nach Kopenhagen.
Ich hatte einen aktuellen Kopenhagen-Reiseführer mitgenommen, um während der Fahrt ein wenig zu lesen. Doch dazu kam ich nicht. Der Begleiter der Reise griff immer wieder zum Mikrofon und berichtete über Geschichte und Kultur Dänemarks, über Wirtschaft und Politik, Soziales und vieles andere. Er kannte sich bestens aus. Schon nach kurzer Zeit legte ich meinen Reiseführer beiseite und hörte gespannt zu.
Gegen 14 Uhr erreichten wir die dänische Hauptstadt. Noch bevor wir unser Hotel ansteuerten, machten wir zur Orientierung eine kleine Stadtrundfahrt und besuchten anschließend auch noch das Wahrzeichen der Stadt: die Kleine Meerjungfrau.
Die Kleine Meerjungfrau – verehrt, geliebt und geschunden
Seit 1913 sitzt sie auf einem Felsblock am Öresund und schaut nachdenklich in die Ferne. Was musste die kleine Nixe schon alles über sich ergehen lassen! Zweimal wurde sie geköpft, einmal sägte man ihr einen Arm ab, mehrmals übergoss man sie mit Farbe und einmal sprengte man sie sogar vom Felsen. Wie gut, dass die alte Gussform erhalten ist und die 1,25 Meter große Bronzeskulptur immer wieder repariert bzw. erneuert werden konnte. Aufregend wurde es für die Kleine Meerjungfrau im Jahre 2010, als sie auf große Reise ging. Für ein halbes Jahr zierte sie den dänischen Pavillon während der Weltausstellung im chinesischen Shanghai.Es war der dänische Künstler Edvard Eriksen (1876-1959), der die Kleine Meerjungfrau schuf, nachdem sein Landsmann, der Brauereiunternehmer, Mäzen und leidenschaftliche Kunstsammler, Carl Jakobsen, sie in Auftrag gegeben hatte. Seit seinem Besuch in Paris anlässlich der Weltausstellung von 1878 faszinierten Jakobsen die Werke moderner französischer Bildhauer, was der Grund sein mag, dass Eriksen sich bei der Gestaltung der Kleinen Meerjungfrau von dem französischen Bildhauer Henri Chapu (1833-1891) und dessen Werk der knienden Jeanne d’Arc inspirieren ließ, die dieser 1872 geschaffen hatte.
Den Kopf der Kleinen Meerjungfrau formte Eriksen nach der Primaballerina Ellen Price, die 1909 in Kopenhagen als „Kleine Meerjungfrau“ in gleichnamigem Ballett große Erfolge feierte. Für den Körper stand Eline, die Ehefrau des Künstlers, Modell, weil Ellen Price dies angeblich abgelehnt hatte.
In gewissem Sinne hat die Kleine Meerjungfrau drei Väter: den Finanzier Carl Jakobsen, den Bildhauer Edvard Eriksen und natürlich den Dichter Hans Christian Andersen (1805-1875), der sich die ganze Geschichte ausgedacht hatte.
Das Märchen von der Kleinen Meerjungfrau
Die jüngste Tochter des Meerkönigs verliebt sich in einen jungen Prinzen, den sie nach einem Schiffbruch vor dem Ertrinken rettet. Sie bringt den bewusstlosen schönen Mann sicher an Land und wartet heimlich ab, bis er gefunden wird. Leider gönnt Andersen ihnen kein Happy End.
Um in der Menschenwelt leben zu können, braucht die kleine Nixe Beine und sucht deshalb Hilfe bei einer Hexe. Sie verliert die Flosse und bekommt die erwünschten Beine, muss dafür aber ihre liebliche Stimme der Hexe überlassen. Von nun an ist sie stumm und kann nur mit den Augen sprechen. Der Prinz ist bezaubert von ihr, heiratet jedoch jene, von der er glaubt, dass sie es war, die ihn gerettet hat. Enttäuscht möchte die Kleine Meerjungfrau in die Tiefen des Ozeans zu ihrer Familie zurückkehren, doch das ist ohne Flosse unmöglich. Erst wenn sie den Prinzen tötet, kann sie alles rückgängig machen. Das bringt sie jedoch nicht übers Herz. So verwandelt sie sich in Meeresschaum und steigt als Luftgeist zum Himmel empor.
Hans Christian Andersen – von bitterer Armut zu höchsten Ehren
Hans Christian Andersen kannte die Härten des Lebens. Er war elf Jahre alt, als sein Vater, ein verarmter Schuhmacher, starb. Seine Mutter war alkoholkrank. Für den Schulbesuch gab es kein Geld, stattdessen arbeitete er in einer Fabrik, um sich und seine Mutter durchzubringen. Im Alter von vierzehn Jahren ging er nach Kopenhagen und versuchte sich als Schauspieler und Sänger. Ohne Erfolg. Doch fiel er dem Direktor des Königlichen Theaters auf, der ihn unter seine Fittiche nahm. Mit Anfang zwanzig veröffentlichte er bereits erste Gedichte, Erzählungen und Theaterstücke und wurde in den folgenden Jahren ein gefeierter Dichter. Die Idee zur Kleinen Meerjungfrau soll ihm während einer Italienreise gekommen sein.
Mit 25 verliebte sich Andersen in die Schwester eines Studienfreundes. Leider war sie schon einem anderen versprochen. Ihren Abschiedsbrief fand man nach seinem Tod. Er steckte in einem kleinen Lederbeutel, den er nahe an seinem Herzen trug. Andersen blieb unverheiratet.
Das Operaen Copenhagen
Schon am ersten Abend ging es ins Neue Opernhaus, einem futuristisch anmutenden Gebäude, direkt am Hafen.
Es ist ein Geschenk des dänischen Reeders Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller (1913-2012) und der A.P. Møller und Chastine Mc-Kinney Møller-Stiftung an den dänischen Staat. Erstaunlich ist die kurze Bauzeit von vier Jahren (2001-2004). Da sind wir in Hamburg anderes gewohnt. 2005 wurde das Opernhaus eröffnet. Es gehört zu den modernsten der Welt. Entworfen hat es der Däne Henning Larsen (1925-2013), einer der bekanntesten Architekten Skandinaviens. Er wurde mit vielen Auszeichnungen geehrt.
An dem Projekt mitgearbeitet haben einige bekannte Künstler, darunter Olafur Eliasson, von dem die drei Prisma-Kronleuchter im Foyer stammen, und Per Kirkeby, der vier Bronzereliefs schuf.
Das Bauwerk ist durch weite Fensterfronten lichtdurchflutet, faszinierend auch der Konzertsaal in einer riesigen hölzernen Kapsel mit Platz für 1600 Besucher.
Insgesamt soll das Opernhaus 2,4 Mrd. Dänische Kronen (etwa 321 Mio. Euro) gekostet haben.
Wunderbar auch die Möglichkeit, im oberen Stockwerk des Hauses speisen zu können, und zwar im Gourmet-Restaurant „Almanak“. Vor der Aufführung erwartete uns dort ein ausgezeichnetes 3-Gänge-Dinner.
Wiedersehen mit Billy Elliot
Nach einem Essen in entspannter Atmosphäre folgte das Ballett-Musical „Billy Elliot“, nach gleichnamigem Jugendbuch von Melvin Burgess und erfolgreich verfilmt als „Billy Elliot – I will dance“. Ich hatte den Film schon mehrmals gesehen und so schien es mir, als würde ich einen alten Bekannten treffen.
Musik und Texte stammen von Elton John und Lee Hall. Wir sahen eine Inszenierung mit dem Royal Danish Orchestra unter der Leitung von Lars Kvensler und mit der Choreographie von Miles Hoare.
Beeindruckend dargestellt die Geschichte des jungen Billy zur Zeit des Bergarbeiterstreiks 1984 im Norden Englands. Das düstere Bühnenbild spiegelt die prekäre Lage wider, unter der die Minenarbeiter leiden. Armut, Verzweiflung, Gewalt und Alkohol prägen ihren Alltag. Mittendrin Billy, der nicht wie andere Jungen Boxen lernen will, sondern heimlich Ballettunterricht nimmt. Damit widerspricht er dem Männlichkeitsempfinden seiner Umgebung und schockiert Vater und Bruder. Die Lektion dieses Stückes: Gib niemals auf, verwirkliche deine Träume!
Statens Museum for Kunst – das größte Museum für Bildende Kunst in Dänemark
Bemerkenswert am folgenden Tag war der Besuch des Staatlichen Kunstmuseum. Es ist in einem Gebäude von 1897 untergebracht und wurde 1998 durch einen modernen Anbau erweitert.
Die Sammlung alter und moderner Meister (von 1300 bis heute) umfasst rund 2600 Werke. Schwerpunkte sind dänische und nordische Kunst, sowie französische und internationale mit Werken u.a. von Matisse, Picasso, Nolde und auch zeitgenössischen Künstlern wie Kirkeby und Baselitz.
Ein lichtdurchfluteter Korridor mit einer Skulpturensammlung verbindet Alt- und Neubau. Hier befindet sich eine weitere Darstellung der Meerjungfrau.
Im Gegensatz zur Meerjungfrau am Öresund wendet sie sich nicht vom Betrachter ab, sondern schaut ihm ins Gesicht.
Erfreulich zu sehen war das große Interesse an der Sonderausstellung zu Käthe Kollwitz.
Kopenhagen – Welthauptstadt der Architektur
Kopenhagen wurde 2023 zur Welthauptstadt der Architektur gekürt.
Alte und neue Baukunst interessierte viele Teilnehmer unserer Reisegruppe, und so führte uns das Programm nicht nur zu den modernen Bauten von Ørestad, sondern auch zu außergewöhnlichen älteren Stätten. Dazu gehört die Grundtvigskirche, eins der bekanntesten Gotteshäuser Kopenhagens.
Backsteinexpressionismus und traditionelle Gotik
Die Kirche ist benannt nach Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872), einem Universalgelehrten, der zu seiner Zeit als Philosoph, Pfarrer, Pädagoge, Schriftsteller und Politiker großen Einfluss besaß. Unter anderem initiierte er die Gründung von nichtstaatlichen Volkshochschulen als Alternative zum staatlichen Erziehungssystem. Schon 1844 sprach er von der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens.
Die vor allem durch ihre Innengestaltung atemberaubend schöne Kirche wurde nach Plänen des dänischen Architekten Peder Klint (1853-1930) geschaffen, der den damals modernen Backsteinexpressionismus mit traditioneller Gotik verknüpfte.
Als Kontrastprogramm führte uns die anschließende Fahrt durch Ørestad, den jüngsten Stadtteil Kopenhagens, eine als Ganzes geplante autarke Stadt, die Wohnraum für 20.000 Menschen und 60.000 Arbeitsplätze bieten soll. Noch bevor es mit dem Bau von Wohn- und Bürohäusern losging, wurde zunächst eine umfassende Verkehrsinfrastruktur angelegt, die Ørestad mit Kopenhagens Zentrum und dem Flughafen Kastrup verbindet, sowie eine Anbindung nach Schweden bietet. Aufregend und faszinierend zugleich; Ørestad ist vor allem bei jungen Leuten beliebt.
Das Louisiana – faszinierend!
Am folgenden Sonntag ging es bei bestem Wetter ins 35 km nördlich von Kopenhagen gelegene Humlebaek und in das „Louisiana Museum of Modern Art“, das als eins der schönsten der Welt gilt.
Mit dem Bus fuhren wir die Küstenstraße „Strandvejen“ entlang, von manchen auch „dänische Riviera“ genannt. Wunderschöne Villen stehen dort und viele kleinere hübsche Häuschen, in denen ich gern mal einen Sommer verbringen würde.
Das Museum besteht aus einem historischen Haupthaus und mehreren modernen Flügelbauten, die durch verglaste Korridore und auch unterirdisch verbunden sind, so dass man bequem einen Rundgang durch die Ausstellung machen kann.
Ursprünglich gehörte das weitläufige Gelände dem königlichen Hofjäger Alexander Brun (1814-1893), der hier 1855 seine Sommervilla bauen ließ. Brun war dreimal verheiratet, und – ob Zufall oder nicht – hießen alle drei Frauen Louise, weshalb er das Anwesen „Louisiana“ nannte.
In den 1950er Jahren erwarb der Unternehmer und Kunstsammler, Knud W. Jensen (1916-2000), den Landsitz, um hier ein Museum für zeitgenössische skandinavische Kunst zu gründen. Er hielt an dem alten Namen fest. 1958 öffnete das „Louisiana“ seine Türen. Wenig später erweiterte Jensen die Sammlung und bezog internationale moderne Kunst nach 1945 mit ein. Heute beherbergt das Museum etwa 3500 Kunstwerke. Regelmäßig finden auch Sonderausstellungen statt.
Mit dem Louisiana gelang es Jensen, ein faszinierendes Gesamtkunstwerk zu schaffen. Die Architektur, die kostbare Kunst in lichtdurchflutenden Hallen, verglasten Korridoren und gestalteter Natur und schließlich auch das glitzernde Meer im Hintergrund – dies alles bildet ein harmonisches Miteinander, durch das man gelassen streifen kann.
Umgeben von Kunst, drinnen wie draußen, wohin man auch schaut, ist das Louisiana für jeden ein unvergessliches Erlebnis.
Am Spätnachmittag ein weiterer Höhepunkt dieser Reise: das Ballett „Der Nussknacker“ im Königlich Dänischen Theater, der Alten Oper.
Zur Königlich Dänischen Nationaloper gehört die Königliche Kapelle Kopenhagen, ein Sinfonieorchester, das in der Alten wie in der Neuen Oper zuhause ist. Es wurde 1448 gegründet und gilt als ältestes Orchester Europas.
„Der Nussknacker“
Die klassische Choreographie von George Balanchine und das Bühnenbild von Anthony Ward waren vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack, denn in Hamburg ist man von John Neumeier anderes gewohnt. Doch in Kopenhagen war der Nussknacker wohl vor allem für Kinder inszeniert worden. So jedenfalls stand es auf der Website des Theaters. Tatsächlich saß in der Reihe vor mir ein kleiner Junge, der sich die gesamte Zeit kaum rührte und fasziniert dem getanzten Märchen folgte.
Der stürmische Schlussapplaus zeigte, dass auch das erwachsene Publikum begeistert war.
Roskilde – Royaler Begräbnisort
So viele Eindrücke, so viele Erlebnisse! Sogar für einen kurzen individuellen Stadtbummel war noch Zeit.
Ich hatte das Gefühl, nicht erst drei Tage, sondern schon eine ganze Woche unterwegs zu sein. Viel zu schnell verging die Zeit und mit dem vierten Tag folgte die Abreise. Zum Glück führte unsere Reiseroute über Roskilde, so dass wir noch eine Stätte des UNESCO Weltkulturerbes besichtigen konnten: den Dom zu Roskilde, traditioneller Begräbnisort der dänischen Könige und Königinnen.
Hier entdeckten wir, dass die Kleine Meerjungfrau noch drei Schwestern hat. Sie heißen Trauer, Erinnerung und Zuneigung. Es sind Marmorskulpturen, die ebenfalls von Edvard Eriksen geschaffen wurden. Sie zieren den Sarkophag von Christian IX. und seiner Frau Louise.
Ob ich noch einmal eine ähnliche Gruppenreise mitmachen werde? Auf jeden Fall. Es war eine sehr schöne Reise.
1 Kommentar
Liebe Petra,
was für eine schöne, berührende „Kulturnotiz“! Kopenhagen ist eine der wenigen europäischen Hauptstädte und beim Lesen wurde jetzt der Wunsch groß, mir diese Stadt auch bald mal anzuschauen!
Jetzt jedoch steht Sizilien auf meinem Reiseplan: Ab 9. Februar etwa 3-4 Wochen Zeit, um die Insel kreuz und quer zu erkunden und endlich auch die Mandelblüte dort zu erleben!
Vielleicht führt Ihr ‚Weg zu Kultur‘ auch einmal nach München und Umgebung? Das würde mich sehr freuen!
Genießen Sie die vor uns liegenden Feiertage und bleiben Sie gesund und reiselustig!
Herzliche Grüsse